Europas Stärke: Qualität als Markenzeichen
Europa steht seit Jahrzehnten für Qualität in der industriellen Fertigung – das gilt vor unter anderem für den Maschinenbau in der Textilindustrie und Bekleidungsindustrie. Wer sich mit automatisierten Herstellungsmaschinen beschäftigt, stößt vorwiegend auf europäische Namen, wenn es um Spitzenleistung und Innovation geht. Von den ersten Schritten der Spinnerei über die Weberei bis hin zu Rundstrickmaschinen: Die führenden Unternehmen und Technologien stammen meist aus Europa. Namen wie Rieter (Schweiz), Saurer, Trützschler, Mayer (Deutschland) oder Marzoli und Santoni (Italien) und andere prägen die Branche, während auch in der Konfektion – etwa bei Zuschneideautomaten Frankreich, die Schweiz und Deutschland mit Unternehmen wie Lectra, Zünd oder Bullmer tonangebend sind. Selbst bei Nähmaschinen, wo Japan mit Marken wie Juki oder Brother stark vertreten ist, dominiert europäische Technologie weiterhin viele Bereiche.
Diese Qualitätsführerschaft ist kein Zufall. Sie wurzelt tief in der europäischen Ausbildungstradition und der Kultur des Handwerks. Jahrzehntelange Erfahrung, ein hoher Anspruch an Präzision und die Bereitschaft, in Forschung und Entwicklung zu investieren, machen den Unterschied. Doch wie lange kann Europa diese Position halten? Und wie sieht der globale Wettbewerb tatsächlich aus?
Amerika: IT, Marketing und der Mut zur Innovation
Während Europa für Qualität steht, hat sich Amerika als Vorreiter in IT und Marketing etabliert. Besonders im Bereich Softwareentwicklung und bei Investitionen in junge Start-ups zeigen sich die USA als Motor für neue Ideen. Viele automatisierte Technologien für die Bekleidungsindustrie finden ihren Weg nach Amerika, weil dort Risikokapital, Innovationsfreude und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, stärker ausgeprägt sind als in Europa.
Diese Dynamik ist ein entscheidender Grund, warum zahlreiche technologische Innovationen aus den USA stammen – oder zumindest dort zur Marktreife gebracht werden. Die Förderung von Start-ups, die Offenheit für neue Geschäftsmodelle und der Mut, auch große Risiken einzugehen, schaffen ein Klima, in dem Innovation gedeiht. Europa könnte hiervon lernen, denn oft fehlt es hierzulande am nötigen Selbstvertrauen und an der Bereitschaft, nach Rückschlägen weiterzumachen.
China: Skalierung statt Innovation?
„China überrollt uns alle mit Technologie und Innovation“, diesen Satz höre ich regelmäßig. Die Frage ist nur, ob China nicht nur mit Menge und Kopien von Technologien überrollen. Um uns ein Bild zu machen bin ich schon im Jahr 2019 nach Shanghai gereist, um eine Technologiemesse in der Branche zu besuchen. Und schon damals war deutlich: China präsentierte zwar eine beeindruckende Vielfalt an Maschinen und Anlagen, doch echte technologische Vorreiterschaft war nicht zu erkennen. Die meisten „Innovationen“, die dort vorgestellt wurden, waren längst in Europa bekannt – eigene, bahnbrechende Entwicklungen gab es nicht.
China ist in den letzten Jahrzehnten zur globalen Maschinenbaumacht aufgestiegen. Das Land beeindruckt durch schiere Menge und Geschwindigkeit: In vielen Segmenten sind die Wachstumsraten dreistellig. Doch trotzdem bleibt die Frage: Kommt die nächste große Innovation wirklich aus China – oder bleibt das Land vor allem ein Meister der Skalierung und Kopie?
Einige Beispiele, um die These zu untermalen:
Vor ein paar Wochen habe ich einen traditionsreichen deutschen Hersteller von Nähmaschinen besucht, der schon vor einigen Jahren von einem chinesischen Unternehmen übernommen wurde. Trotz der Übernahme und der Möglichkeit, von den enormen Produktionskapazitäten in China zu profitieren, zeigte sich schnell ein zentrales Problem: Während das chinesische Pendant etwa 15-mal mehr Maschinen fertigte, kann die Qualität der in China produzierten Maschinen nicht mit dem europäischen Standard mithalten. Zentrale Technologieentwicklungen werden auch Jahre nach der Übernahme noch in Deutschland vorangetrieben. Teilweise wurden Abteilungen mit hochsensibler Technologie sogar von China wieder zurück nach Deutschland verlegt, um die gewohnte Exzellenz sicherzustellen. Das Beispiel verdeutlicht, dass europäische Qualität nicht nur auf moderner Technik basiert, sondern vor allem auf Faktoren wie fundierter Ausbildung, einer tief verwurzelten Kultur des Qualitätsbewusstseins, dem Zugang zu Know-how und einem besonderen Mindset, das Innovation und Präzision fördert
Ein Eindruck von der Technologie Messe in Hannover im Mai dieses Jahres bleibt bei mir besonders haften: Wer den Siemens-Stand betritt, taucht ein in eine Welt voller Energie, Innovation und Austausch. Die Halle ist dicht gefüllt, an jeder Ecke stehen kompetente Ansprechpartner bereit, die mit Begeisterung neueste Technologien erklären und Fragen beantworten. Es herrscht eine Atmosphäre, die zum Dialog und zum Entdecken einlädt – genau das, was eine internationale Leitmesse ausmacht.
Im starken Kontrast dazu steht der Bereich, in dem chinesische Unternehmen ausstellen. Hier wirkt es erstaunlich ruhig, fast schon verlassen. An den einzelnen Ständen sitzen Vertreter, manche dösen, andere wirken abwesend, die meisten spielen am Handy – der Funke will nicht überspringen. Es entsteht kaum das Bedürfnis, ins Gespräch zu kommen, von Inspiration keine Spur. Vielleicht spiegelt sich hier ein kultureller Unterschied wider, vielleicht ist es aber auch eine Frage der Überzeugung seines einzigartigen Produkts.
Japan: Effizienz, Präzision und Verlässlichkeit
Japan war lange Zeit ein Synonym für technologische Exzellenz – auch in der Textil- und Bekleidungsindustrie. Japanische Maschinenbauer stehen für höchste Präzision, Effizienz und Zuverlässigkeit. Marken wie Juki, Brother und YKK sind weltweit bekannt. Doch Japan hat nicht den Ruf, besonders innovativ zu sein; vielmehr schätzen Kunden die ausgereifte Technik und die Verlässlichkeit der Produkte.
Allerdings steht auch Japan vor Herausforderungen: Eine alternde Bevölkerung, ein schrumpfender Binnenmarkt und der wachsende Konkurrenzdruck aus China und Südkorea zwingen japanische Unternehmen, neue Wege zu gehen und sich auf weitere Zukunftsfelder zu konzentrieren.
Automatisierung: Europas Chance?
Die Automatisierung revolutioniert die Textil- und Bekleidungsindustrie. Maschinen übernehmen immer mehr Aufgaben, die früher von Hand erledigt wurden – vom Zuschnitt über das Nähen bis zur Endkonfektion. Europäische Unternehmen sind hier weiterhin führend, insbesondere wenn es um hochspezialisierte Anlagen und individuelle Lösungen geht.
Doch der globale Wettbewerb schläft nicht. China investiert in neue Fabriken, und auch amerikanische Firmen setzen zunehmend auf Automatisierung. Die Herausforderung für Europa besteht darin, die eigene Qualitätsführerschaft mit Innovationskraft zu verbinden. Denn Qualität allein reicht im Zeitalter der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz nicht mehr aus.
Selbstvertrauen und Mut zur Innovation
Ein Blick auf die Innovationslandschaft zeigt: Die neuesten Durchbrüche kommen weiterhin aus Europa und Amerika. Doch Europa droht, das eigene Selbstvertrauen zu verlieren. Projekte wie die Speedfactory von Adidas, die auf eine automatisierte Schuhproduktion in Europa setzte, wurden nach einem Führungswechsel eingestellt – ein Beispiel dafür, wie schnell Chancen vergeben werden.
Auf Messen zeigt sich ein ähnliches Bild: Während europäische Stände von Kompetenz und Austausch geprägt sind, wirken chinesische Präsentationen oft distanziert. Dennoch darf man China nicht unterschätzen – das Land bleibt ein zentraler Player in der Weltwirtschaft und könnte mit genügend Ressourcen und politischem Willen schnell aufholen.
Europas Zukunft liegt in Qualität und Innovation
Europa hat die Chance, sich in der Weltwirtschaft neu zu positionieren. Die Kombination aus Qualitätsführerschaft und Innovationskraft könnte der Schlüssel sein, um im globalen Wettbewerb zu bestehen. Doch dafür braucht es Mut, Selbstvertrauen und ein neues Mindset. Mit Künstlicher Intelligenz und Automatisierung eröffnen sich enorme Möglichkeiten – wenn Europa bereit ist, sie zu nutzen.
Die Qualität, die europäische Unternehmen in ihren Produkten und Fertigungshallen bieten, ist ein einzigartiges Merkmal. Jetzt gilt es, diese Stärke mit dem Mut zur Innovation zu verbinden und die Zukunft aktiv zu gestalten. Denn nur wer sich weiterentwickelt, bleibt auch morgen an der Spitze.